Die Umsetzung von Gesetzgebungsaufträgen ist nicht immer gewährleistet. Zunehmend komplexe Regelungsbereiche werfen vor dem Hintergrund der normativen Verflechtung zwischen der lokalen, staatlichen, europäischen und internationalen Ebene immer wieder die heikle Frage auf, wie der Rechtstaat auf die Untätigkeit oder die Säumnis des Gesetzgebers reagieren kann und soll, so dass einerseits die Durchsetzung des höherrangigen Rechts gewährleistet ist und andererseits demokratische Grundsätze wie die Gestaltungsfreiheit der Legislative gewahrt bleiben.
Das Projekt befasst sich mit den Rechtsfolgen der Untätigkeit und Säumnis des Gesetzgebers. Gegenstand der Untersuchung sind die rechtlichen Mittel, die dem schweizerischen Rechtsstaat zur Verfügung stehen, bzw. zur Verfügung stehen sollten, wenn gesetzgeberische Organe Gesetzesaufträge nicht, nicht vollständig oder nicht rechtzeitig erfüllen. Ziel des Projekts ist erstens eine Bestandsaufnahme und Konzeptualisierung der vorhandenen Antwortmöglichkeiten des Rechts gegenüber unerfüllten Gesetzgebungsaufträgen. Zweitens sollen diese Antwortmöglichkeiten unter Heranziehung ausgewählter rechtsvergleichender Aspekte kritisch gewürdigt werden. Darauf aufbauend geht es drittens um die Erarbeitung nuancierter Lösungsansätze in denjenigen Bereichen, in denen die bestandene Rechtslage unbefriedigend erscheint.
Das Projekt nähert sich dem Thema einerseits aus einem rechtsdogmatischen Blickwinkel, indem es die bestehenden Antwortmöglichkeiten des Rechtssystems untersucht und die in verschiedenen Rechtsgebieten vorhandenen Möglichkeiten in einem konzeptuellen Rahmen systematisiert. Ausserdem will das Projekt die Mechanismen zur Gewährleistung der Umsetzung von Gesetzesaufträgen kritisch beurteilen, um Antworten zu liefern, die mit der schweizerischen Konzeption des Rechtsstaates und seinem Rechtsetzungsprozess vereinbar sind.
Die Ausgestaltung der rechtlichen Antwortmöglichkeiten auf gesetzgeberische Untätigkeit und Säumnis sind bedeutend, weil sie ein Instrument zur Durchsetzung höherrangigen Rechts darstellen und das Verhältnis zwischen Gesetzgeber und Verfassung sowie zwischen Judikative und Legislative prägen. Die Ergebnisse der Forschung können auch nützlich sein für Akteure, die sich mit den aktuellen Herausforderungen bei der Umsetzung von Schutz- und Gewährleistungspflichten aus dem Völkerrecht, Volksinitiativen oder mit den juristischen Beziehungen zur Europäischen Union befassen.